Seit ich denken kann, habe ich das zweifelhafte Vergnügen
Menschen in entwürdigenden Situationen anzutreffen. Das fing mit der alten Dame in der Kirchenbank an, die sich unnatürlich steif bewegte und ärgerlich vor sich hinbrummte. Irgendwann fiel mir der Haken an ihrem Nacken auf. Sie hatte den Kleiderbügel noch im Mantel stecken. Es war ein Holzbügel. Bei der schlichteren Variante aus Draht hätte ich ja noch verstehen können: Die morgendliche Eile, der beherzte, obgleich zerfahrene Griff zum Mantel, das nervtötende Glockengeläut – da flutscht so ein dünner Draht schnell mal mit durch. Ich war froh, dass sie nicht noch die ganze Kleiderstange dort in ihrem Pelz verstaut hatte und machte sie auf das Missgeschick nur aufmerksam, weil sie sich am Haken hätte verletzen können. Mir war es peinlich – ihr nicht. Sie sagte so etwas wie „Ochejo?“, rupfte das Ding heraus, legte es neben sich auf die Bank und ging vergnügt zur Tagesordnung über. Wie mein Kollege, der sich gestern in der Annahme, seine Bürotür sei gut verschlossen, hingebungsvoll seine Labialfalten erst streichelte, dann auseinanderzog, streichelte, auseinanderzog – in schneller werdender Abfolge; vor einem kleinen Handspiegel. Mein Hüsteln ließ ihn kurz hochfahren, dann winkte er mir freundlich zu, klappte den Spiegel zusammen und führte ein polemisches Dienstgespräch. Heute beim Friseur geriet die schüchterne Auszubildende bei dem heiklen Unterfangen, einen Kamm abzulegen, ins Straucheln und klammerte sich so an einer der Hauben fest, dass es schon rührend anmutete. Vermutlich dachte sie, es hätte niemand bemerkt, aber ich habe das Ganze mit meiner Handycam festgehalten und werde es ihr das nächste Mal, wenn sie meint, mein Haar sei ja eigentlich blond, gehässig unter die Nase reiben.
Jiss (brünett)
Jiss (brünett)
jiss - 6. Feb, 22:58
Fremdschämen.
Ich denke, man nennt es fremdschämen
lo
fremdschämen triffts genau lo
Gefühlskrüppel
lo